Zum Tode Margaret Thatchers

Die Hexe ist tot

Am 8. April 2013 verstarb Margaret Hilda Thatcher, ehemalige Premierministerin Großbritanniens, die von 1979 bis 1990 als Vorsitzende der Konservativen Partei das Vereinigte Königreich regierte.

 

 

Als „Eiserne Lady“ hatte sich Thatcher weltweit einen zweifelhaften Ruf erworben. Am Tag ihres Todes wurden in ganz England Spontanpartys gefeiert, mancherorts sah man Plakate mit der Aufschrift „Die Hexe ist tot“. In der britischen Hitparade erreichte überraschend ein Lied aus dem Musicalfilm „Der Zauberer von Oz“ von 1939 den zweiten Platz: „Ding, Dong! The Witch is dead.“ (Ding, dong! Die Hexe ist tot). Die BBC weigerte sich erstmals in ihrer Geschichte, einen Song aus den Charts, der ohnehin nur 51 Sekunden dauert, ganz auszuspielen, was zu heftigen Protesten führte. Schon zu Lebzeiten der Politikerin gab es eine kaum überschaubare Anzahl von Anti-Thatcher-Songs, die provokantesten davon etwa Morrisseys „Margaret on the Guillotine“ oder Elvis Costellos „Tramp the Dirt down!“ Selbst der sonst eher etwas brave Elton John textete in „Merry Christmas Maggie Thatcher“: „We all celebrate today ‚Cause it’s one day closer to your death“ (Wir alle feiern heute, weil dein Tod einen Tag näher rückt). Vor zwei Jahren hatte der schottische Schriftsteller Charles Stross öffentlich gefordert, für den Todestag von Margaret Thatcher einen staatlichen Feiertag einzurichten.

Ein Staatsbegräbnis für zwölf Millionen Euro, eine Trauerfeier, an der Regierungsoberhäupter aus der ganzen Welt teilnehmen, Lobeshymnen an die Verstorbene – wie kann es sein, dass diese Politikerin im Volk so verhasst ist?

Die Regierung Thatcher markiert einen Zeitenwechsel. Das Wirtschaftswunder nach dem zweiten Weltkrieg kam auch in Großbritannien ins Stocken, Unternehmer fürchteten um ihre Gewinne, die Partei Thatchers, die Tories, machten sich für Privatisierungen stark – die Polarisierung zwischen einer kleinen, sehr reichen Klasse und einer großen besitzlosen, wie wir sie derzeit in vielen europäischen Ländern erleben, hatte hier ihren Ausgangspunkt. In England kam es damals in kürzester Zeit zu Massenarbeitslosigkeit, Armut, zur Zerschlagung von Gewerkschaften. Niedriglohnjobs und ein entfessselter Finanzkapitalismus sind die Errungenschaften dieser Zeit, die mit einiger Verzögerung nun die Wirtschaft des gesamten Kontinents, wenn nicht fast der ganzen Welt beherrschen. Thatcher scheute sich nicht, das Militär gegen streikende Bergarbeiter einzusetzen, die eigene Klasse zu begünstigen und gleichzeitig alle Erleichterungen für die Besitzlosen bis hin zur kostenlosen Milchration an den Grundschulen zu streichen, sie billigte Killerkommandos im Nordirlandkonflikt, die Unschuldige töteten, inszenierte den Falklandkrieg, um von ihrem innenpolitischen Scheitern abzulenken. Sie bekannte sich offen zur Freundschaft mit Chiles faschistischem Diktator Pinochet, unterstützte das Apartheidsystem Südafrikas und den Massenmörder Pol Pot. In der ihr typischen Arroganz verkündete sie 1987: „So etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht.“ Eine bedeutende Politerin eben.

Und dennoch: Egal, was man der Dame zur Last legen mag – die Tatsache, dass Gewerkschaften, Gegenparteien, im Grunde die gesamte Gesellschaft vor ihr einknickten, kann nicht auf Ihr Konto gebucht werden. Die geistig-moralische Haltung Thatchers konnte politisch erst zur Entfaltung gelangen, als die Zeit dafür gekommen war. Der Zeitgeist benötigte eine Projektionsfläche, und die selbstbewusst-arogante Konservative war dafür wie geschaffen.

Zeitqualität

Im Zusammenhang mit der Weltfinanzkrise habe ich schon mehrfach auf die Bedeutung Plutos im Steinbock hingewiesen. Das kapitalistische Wirtschaftssystem begann Mitte des 18. Jahrhunderts mit Pluto im Steinbock (1762 – 1778) und endet jetzt mit dem aktuellen Steinbockdurchgang (2008 – 2024). Zwischen Beginn und Abschluss eines Zyklus´ liegen drei weitere markante Phasen, die in der Astrologie als aufsteigendes Quadrat, Opposition und absteigendes Quadrat bezeichnet werden. Erreicht ein Planet diese Stationen, wird infrage gestellt, was am Ausgangspunkt ins Leben gerufen wurde. Hier kann es zu Umbrüchen, aber auch zu Höhepunkten in Bezug auf die betreffende Entwicklung kommen.

Für den betreffenden Pluto-Zyklus lässt sich folgende Entwicklung feststellen: Am Ausgangspunkt entstand mit dem Beginn des Industriezeitalters eine neue Wirtschaftslehre – der schottische Moralphilosoph Adam Smith begründete seine liberale Wirtschaftsordnung als Bedingung für gesellschaftlichen Wohlstand. Diese Lehre ist die Basis dessen, was später als Kapitalismus, heute als Marktliberalismus bezeichnet wird.

Mit Pluto im Widder, dem ersten kritischen Aspekt des Zyklus´ (Quadratzeichen 1825 – 1853), kam es in Europa aufgrund der starken Industrialisierung zu einem hohen Anstieg verarmter Tagelöhner und damit zu bedeutenden Auswanderungswellen nach Amerika. Diese Phase wird als Zeitalter des Pauperismus (pauper = arm) bezeichnet. In diesem Klima veröffentlichten Marx und Engels das Kommunistische Manifest als Gegenentwurf zur Wirtschaftslehre von Smith.

Unter Pluto im Krebs (Oppositionszeichen 1914 – 1939) erlebte die Welt in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts eine der bisher schwersten Wirtschafstkrisen, bekannt als große Depression. Auslöser war genau wie heute ein unregulierter Kapitalismus. Um den schweren Folgen dieser Krise entgegenzuwirken – in den USA wurden 15 Millionen Menschen arbeitslos – führte man z.B. in Amerika Sozialversicherungen ein. Dies ist ein deutlicher Gegentrend zu den Thesen des Ausgangspunktes. Zu Beginn des Zyklus´ herrschte die Maxime „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“, als Pluto den halben Kreis vollendet hat, heißt es: „Die Gemeinschaft muss sich um die Schwächsten kümmern“.

Letzteres wiederum wird infrage gestellt, als ein weiteres Viertel des Kreises vollendet ist. Mit Pluto in der Waage (zweites Quadrat 1971 – 1983), begann die Weltwirtschaft durch den Ölpreisschock zu stagnieren. In vielen Ländern wurden die Absicherungen für die wirtschaftlich schwächsten Marktteilnehmer deutlich zurückgenommen. In Deutschland beendete man den Ausbau der sozialen Sicherungen, in Großbritannien kam die Regierung Thatcher an die Macht und begann mit extremen Leistungssenkungen im Sozialbereich. Margaret Thatcher ist übrigens Waage, und 1979, im Jahr ihrer Ernennung zur Premieministerin, lief Pluto genau über ihre Sonne – ein Aspekt, der für Normalsterbliche meist eine schwere Krise mit sich bringt, in seltenen Fällen aber einen Aufstieg zu höchster Macht kennzeichnet. Auch der Aszendent Großbritanniens liegt höchstwahrscheinlich in der Waage.

Das Kapital, so proklamierten Marx und Engels, produziere seine eigenen Totengräber, und Frau Thatcher galt vielen als Totengräberin des Kapitalismus. Doch mit ihr oder ohne sie – das letzte Viertel eines Zyklus´ ist immer dasjenige, das eine alte Entwicklung beendet und uns auf einen Neuanfang vorbereitet. Jetzt, da Pluto in den Steinbock zurückgekehrt ist, stehen wir vor der Notwendigkeit, eine neue Wirtschaftstheorie zu entwickeln.

Margaret Thatcher – Das Wesen hinter der Maske

Margaret Thatchers Sonne steht in der Waage, der Aszendent im Skorpion (13.10.1925, 9:00 Uhr, Grantham). Drei der markanten Stationen des eben beschriebenen Plutozyklus´sind in ihrem Horoskop auffallend durch ein Dreieck von Sonne, Pluto und Jupiter betont: Steinbock, Waage und Krebs. Berücksichtigt man Chiron, das Symbol für die Wunde und den Heiler, ist auch das vierte Zeichen, der Widder, einbezogen. Über diese Punkte verbinden sich hier persönliches Schicksal mit dem Weltgeschehen.

Wie erwähnt, kam Margaret Thatcher an die Macht, als Pluto ihre Sonne überquerte. Saturn befand sich zu diesem Zeitpunkt in ihrem zehnten Haus (Höhepunkt der Karriere), Jupiter stand kurz davor, das zehnte Haus zu betreten (Erfüllung und Erfolg). Ihre Amtszeit dauerte genau einen Jupiterzyklus; ihre politische Karriere endete, als Pluto über den Aszendenten trat.

In Margaret Thatchers Horoskop liegt eine deutliche Waagetonung vor, Waage-Sonne und Waage-Mars stehen zudem im elften Haus. Diese Konstellierung sollte eigentlich einen starken Bezug zu gesellschaftlichen Themen und Belangen mit sich bringen und steht in krassem Gegensatz zu dem oben erwähnten Zitat der Politikerin. Der Schlüssel hier ist das Plutoquadrat auf die beiden Planeten. Pluto zeigt, was zerstört wurde oder wird, und was neu gegründet werden muss. Dies belegt, dass Frau Thatcher durchaus das Potential hatte, als Reformerin zu wirken. Um die positiven Anteile dieses Potentials zu verwirklichen, hätte zunächst das eigene gestörte Verhältnis zu gesellschaftlichen Fragen geklärt werden müssen – eine Klärung, die in ihrem Leben nie stattfand. Gestört wurde dieses Verhältnis durch die extrem rigide Erziehung in ihrer Kindheit – dazu gleich mehr.

Ein Horoskop, das wie dieses, einen deutlichen Erdmangel aufweist, kennzeichnet einen Menschen, der wenig Bezug zu körperlichen und materiellen Bedürfnissen hat. Solche Menschen können durchaus viel erreichen, gerade dadurch, dass sie wenig auf eigene und die Grenzen anderer achten. Wenn, wie hier, das Element Feuer betont ist, spielen Visionen und der Glaube an ein höheres Ziel eine tragende Rolle. Dennoch machen Menschen mit einer solchen Elementebetonung meist keine gute Figur in den Bereichen Versorgung, Finanzen und Stabilität, und Frau Thatcher war mit vier Millionen Arbeitslosen im siebten Jahr ihrer Amtszeit nicht gerade die Ausnahme der Regel. Der Norden Englands galt zu der Zeit als wirtschaftliches Katatrophengebiet.

Zwei Konstellationen im Horoskop Margaret Thatchers fallen besonders auf und sind geeignet, das Dilemma ihres Lebens zu beschreiben. Dies sind Saturns Konjunktion mit dem Skorpionaszendenten und als extremer Gegenpol dazu die Mond-Neptun-Konjunktion im Löwen in Haus neun. Der eine Pol – die visionäre Haus-neun-Konstellation – symbolisiert den tiefen Glauben an ein Ideal, fast mehr noch die unstillbare Sehnsucht nach der Erfüllung eines solchen. In diesem Ideal hat das Vorwärtskommen (Haus neun) einen festen Platz. Auf der anderen Seite weist Saturn am Skorpionaszendenten auf die Konfrontation mit Härte, Strenge, Mangel und auf eine gewisse eigene Härte im Auftreten nach Außen.

Diesen Widerspruch hat die Journalistin Valeska von Roques in ihrem Artikel „Eisen kam in meine Seele“ 1985 treffend beschrieben: „Der Charme Großbritanniens lag immer in der Leichtigkeit, mit der man in die Mittelklasse aufsteigen kann“, beteuert Margaret Thatcher. Was sie verschweigt, ist der Umstand, daß „Leichtigkeit“ ihren eigenen Aufstieg überhaupt nicht kennzeichnet – im Gegenteil: ihr Leben – ein Hindernisrennen von Kindheit an. Unablässig – erst vom Vater, dann von sich selbst – zum Fortkommen angetrieben, verzichtete sie auf viele der einfachsten Freuden von Kindheit und Jugend. Von der elitären Schicht, die sie anstrebte, wurde sie ausgeschlossen und zurückgewiesen. Und am Ende heiratete sie in die obere Mittelschicht: eigentlich eine Niederlage für eine, die an die Wunderkraft der eigenen Leistung glaubt.“ (1)

Margaret Thatchers Kindheit ist geprägt von dem Glauben an Befreiung (Neptun in neun) durch Verzicht (Saturn am Aszendenten): „Ihre Eltern … waren strenge Methodisten, Anhänger jener protestantischen Erweckungsbewegung, die im England des 18. Jahrhunderts ursprünglich als Kirche der Entrechteten entstanden war. Was Margarets Elternhaus freilich vor allem vermittelte, war die lustfeindliche Disziplin … eine schwere tägliche Kost von Selbstverbesserung, Verzicht und harter Arbeit. … Desgleichen wurde rigide Sparsamkeit geübt, und das hieß … Verzicht selbst auf bescheidene Annehmlichkeiten. (1)

Dass eine Politik, die in einer derartigen Lebenshaltung wurzelt, keine genießbaren Früchte hervorbringt, hat die Geschichte gezeigt. Wer heute noch Lobesreden auf die Eiserne Lady abhält, hat nicht erkannt, dass der Zusammenbruch des alten Systems längst nicht mehr zu stoppen ist. Doch wer jetzt Schmählieder singt, freut sich zu früh und zu Unrecht. Der Zusammenbruch wäre so oder so gekommen und bis sich ein Neuanfang durchsetzt, ist es noch lange hin.

Eine der Bands, die Thatcher am härtesten kritisierten, waren die Sex Pistols. Ausgerechnet Sänger Johnny Rotten bekannte vor kurzem: „Thatchers Politik war schlimm und betraf mich sehr, als ich noch jung war. Aber das heißt nicht, dass ich auf ihrem Grab tanzen werde.“ (2)

(1) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13514190.html

(2) http://www.rollingstone.de/news/meldungen/article401064/john-lydon-man-sollte-thatchers-tod-nicht-feiern.html