Sein größter Bluff

„Sein größter Bluff“ ist der deutsche Titel der britischen Filmkomödie „The Million Pound Note“ aus dem Jahr 1954. Der Film basiert auf Mark Twains Kurzgeschichte „The Million Pound Bank Note“. Die meisten Werke Twains hatten die Verlogenheit der Gesellschaft und die Kritik an Kirche und Staat zum Thema. Seine Beschreibungen der Verhältnisse sind so entlarvend, dass „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“ häufig nur in gekürzter Form veröffentlicht wurden, weil man der Jugend die Originalfassungen nicht zumuten mochte. Twains Gesellschaftskritik ist zwar bissig (Aszendent und Merkur im Skorpion), doch immer auch humorvoll (Sonne und Venus im Schützen).

In „The Million Pound Bank Note“ geht es darum, dass zwei reiche Banker aufgrund einer Wette einem mittellosen jungen Mann für einen Monat eine Banknote mit der für die damalige Zeit unvorstellbaren Höhe von einer Million Pfund ausleihen (heute etwa 25 Millionen Pfund / 29 Millionen Euro). Mit dieser Referenz in der Tasche wird der junge Mann überall mit offenen Armen empfangen und reich beschenkt, ohne einen einzigen Penny ausgeben zu müssen. Mit der unterhaltsamen und humorvollen Story transportiert Twain eine wichtige Botschaft: Geld basiert mehr auf Glauben als auf irgendetwas anderem.

Eine moderne Variante der Million-Pound-Note wurde kürzlich im Umfeld von Barak Obama vorgeschlagen. Um das US-Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen, das soeben seine gesetzlich festgelegte Grenze überschritten hat, wird fieberhaft nach einer Lösung gesucht, schließlich droht die Zahlungsunfähigkeit der Regierung. Der wohl kreativste Vorschlag aus Bankerkreisen empfiehlt die Prägung einer Sondermünze. Wohlgemerkt geht es dabei nicht um die Herausgabe einer neuen Sammlermünze, sondern um ein einzelnes Exemplar einer Platinmünze mit dem unvorstellbaren Wert von einer Billion Dollar. Diese würde dann, gut weggeschlossen, das Haushaltsdefizit um etwa 6 % entlasten und den Systemcrash bis Oktober aufschieben. (1) Die Idee wurde zwar inzwischen verworfen, sie hat aber eine lebhafte Diskussion zwischen deren Anhängern und Kritikern ausgelöst. Auch die US-Version der Million-Pound-Note zeigt, dass Geld kein Wert an sich ist, sondern dass es das ist, wofür wir es halten.

Doch die Billion-Dollar-Platin-Münze weist noch auf etwas anderes. In der aktuellen Krise des Finanz- und Wirtschaftssystems fällt selbst angesehenen Finanztheoretikern nichts anderes ein als das, was die deutsche Ausgabe des Wallstreetjournals vom 7.1.13 „eine Idee aus Entenhausen“ nennt. Die Gründe für solche skurrilen Vorschläge sind offensichtlich: Selbst die Krise in den 30er Jahren, auf die häufig verwiesen wird, hat nicht annähernd die Verwerfungen mit sich gebracht, die jetzt stattfinden. Alte Konzepte greifen nicht mehr, neue haben sich noch nicht etabliert. Die Weltfinanzkrise, von der viele Medien hier in Deutschland behaupten, es wäre keine, sie wäre überwunden oder sie würde Deutschland nicht oder nur kaum betreffen, dauert nun schon über sechs Jahre an und scheint gerade auf einen neuen Höhepunkt zuzusteuern. Warum ich mir sicher bin, dass wir momentan keine der periodisch wiederkehrenden Krisen des Kapitalismus erleben, sondern das Ende eines alten und den Beginn eines neuen Wirtschaftssystems, habe ich 2008 hier dargelegt:

http://www.12zeichen.de/service/artikel/plutosteinbock.html (2)

Mit Plutos Durchgang durch den Steinbock (2008 bis 2024) endet das kapitalistische Wirtschaftssystem, wie wir es kennen. Wie erleben den Niedergang einer Wirtschaftsideologie, die in den vergangenen 250 Jahren mal mehr mal weniger nützlich gewesen ist. Bereits mit der Vereinfachung von Arbeitsprozessen durch Maschinen, spätestens durch die Anwendung von Computern in fast allen Lebensbereichen, haben sich die Faktoren Arbeit und Geld, auf denen die liberale Wirtschaftstheorie von Adam Smith beruht, grundlegend geändert. Diese Wirtschaftstheorie ist die Basis dessen, was später als Kapitalismus, noch später als soziale Marktwirtschaft bezeichnet wurde. Sie entstand in der Mitte des 18. Jahrhunderts, als Pluto das letzte mal den Steinbock durchlief (eines der Zeichen für Finanzangelegenheiten).

Durch technischen Fortschritt wird heute in vielen Bereichen immer weniger menschliche Arbeitskraft benötigt und gleichzeitig immer größerer Gesamtwohlstand erzeugt. In elektronischen Datenstömen jagen in jeder Sekunde Milliarden von Geldeinheiten über den Globus, losgelöst von jeder realen Wirtschaftsleistung. In Anbetracht der damaligen Produktionsvorgänge war die Lehre von Smith angemessen für das ausgehende 18. Jahrhundert und die beiden folgenden. Doch spätestens seit Ende des 20. Jahrhundert zeichnet sich ein Umbruch ab, der alles in den Schatten stellt, was sich die Menschen des 18. Jahrhunderts vorstellen konnten. Dieser Umbruch mag technologisch ausgelöst worden sein, er betrifft unsere Kultur, unsere Bindungen und unsere Wirtschaft. Es ist vollkommen undenkbar, dass eine Wirtschaftsideologie, die 250 Jahre alt ist, diesen Umbruch überleben wird. Und das wäre natürlich auch nicht förderlich. Ob die Formel „Wohlstand durch Arbeit“ im neuen 250-Jahre-Zyklus überhaupt noch von Bedeutung sein wird, scheint mehr als fraglich. Politische Parteien, die heute noch das Ideal der Vollbeschäftigung propagieren, begreifen nicht, dass sie das Ende der Krise hinauszögern, statt sich an einem Neuanfang zu beteiligen.

Offensichtlich muss es erst zu einer noch dramatischeren Situation kommen, bevor neue Wege gewagt werden, so wie jetzt in Italien, wo eine Partei in die Regierung gewählt wurde, deren oberster Programmpunkt die Einrichtung des bedingungslosen Grundeinkommens ist. Bedingungsloses Grundeinkommen allein wird keine neue Wirtschaftstheorie einleiten, wäre aber – und das fordert Pluto im Steinbock – ein grundlegend neuer Umgang mit den Themen Geld, Finanzordnung und Verteilungssicherheit.

Als ich den oben erwähnten Artikel verfasste, hatte die Krise gerade begonnen und wurde von allen Medien geleugnet oder zumindest weit unterschätzt. Neue Impulse waren noch lange nicht sichtbar. Inzwischen interessieren sich immer mehr Menschen für das Geld- und Bankensystem, Kritik an den privaten Geldschöpfungsinstituten wird immer lauter, selbst in konservativen Medien kommen neuerdings auch einmal Stimmen zu Wort, die über den Tellerrand veralteter ökonomischer Modelle hinaussehen. So erschien kürzlich im britischen „Economist“, einem weltweit renommierten Wirtschaftsmagazin, ein Artikel, der sich für die Einrichtung von Mindestlöhnen aussprach und selbst einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht ablehnend gegenüberstand. (3) Das einzige, wozu der „Economist“ sich bisher bedingungslos bekannte, ist der sogenannte Manchester-Liberalismus, dessen Programm auf die einfache Formel gebracht werden kann: „Der Markt wird es schon richten, solange der Staat sich aus allem raushält“. Solche Töne jetzt aus dieser Richtung zu hören deutet erst einmal mehr auf nackte Panik als auf ein grundlegendes Umdenken. Auch die Einführung von Mindestlöhnen, so wünschenswert diese sind, wird das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, nicht aufhalten. Aber die Tatsache, dass in Richtungen gedacht wird, die bisher Tabu waren, zeigt, dass die Dinge sich zu ändern beginnen.

Auch in der konservativ-liberalen FAZ kam vor kurzem eine Stimme zu Wort, der man dort noch vor wenigen Jahren kaum Gehör geschenkt hätte. In einem am 16.2.13 veröffentlichten Interview sagt der amerikanische Wirtschaftshistoriker Philip Mirowski: „Den Wirtschaftswissenschaftlern brechen die Fundamente ihrer Theorien weg.“ … „Die Theorie aber, die uns gegenwärtig zur Verfügung steht, erlaubt uns nicht zu begreifen, wie sich ein normal operierendes System so entwickeln kann, dass es sich selbst untergräbt. Keines der existierenden Modelle kann das nachzeichnen.“ und „Wir haben es nicht nur mit einem ökonomischen, sondern einem kulturellen Problem zu tun. Es geht darum, wie wir uns selbst verstehen. Und was Märkte sind und welche Rolle wir in Märkten spielen und wie ein gutes Leben aussieht.“ (4)

Die Botschaft Plutos im Steinbock scheint ins Bewusstsein zu drängen.

Als Mark Twain seine Kurzgeschichte 1893 veröffentliche, gehörte Großbritannien neben Deutschland und Frankreich zu den drei führenden Wirtschaftsnationen. Erst etwa zwanzig Jahre später würde sich abzeichnen, dass die USA dem alten europäischen Geldadel wirtschaftlich den Rang abzulaufen beginnen, und zwar durch die intensive Förderung der Forschung, durch die Anwendung neuer Technologien und später durch die Etablierung des Dollars als Weltleitwährung. Twain scheint diese Entwicklung bereits geahnt zu haben. In seiner Story ist es ein junger, idealistischer Amerikaner, der die konservativen Briten mit ihrer begrenzten Sicht auf das Geld konfrontiert. Er versucht, seine Gläubiger von seiner Geschäftsidee zu begeistern, doch dies gelingt ihm erst, als die zwischenzeitlich verschwundene Banknote wieder auftaucht und die alte Sicherheit scheinbar wieder hergestellt ist.

Diesmal sieht es nicht so aus, als ob der Impuls für einen wirtschaftlichen Neuanfang aus den USA kommen wird. Wie damals die europäischen Staaten sind es nun die USA, die durch permanente Kriegführung wirtschaftlich am Rand des Zusammenbruchs stehen.

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1) http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/konjunktur/Eine-Platinmuenze-als-Wunderwaffe/story/28233954

2) auch Meridian 5/6 2008

3) http://www.economist.com/blogs/freeexchange/2013/02/labour-markets

4) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/philip-mirowski-im-gespraech-die-linke-hat-auch-keine-antwort-12082030.html