Antwort auf Leserbrief zum Thema Zeitungsastrologie


Sehr geehrter Herr Dr. G.,

die Volksstimme Magdeburg hat Ihren Leserbrief zum Thema Horoskope an mich weitergeleitet, und ich möchte gern Stellung zu Ihrem Schreiben nehmen.

Auch wenn viele meiner Berufskollegen dies nicht gern hören werden – in einem Punkt gebe ich Ihnen, bzw. dem von Ihnen zitierten Herrn Prof. Dr. Prokop, vollkommen Recht: Astrologie hat nichts mit Wissenschaft zu tun! Zumindest nicht mit dem, was wir heute unter Wissenschaft verstehen. Astrologie geht einen eigenen Erkenntnisweg, der sich nicht naturwissenschaftlich zu beweisen braucht. Als Astrologe halte ich die Grundannahme der modernen Naturwissenschaften, die Welt, der Mensch und das Leben könnten rational erschöpfend erklärt werden, sogar für eine regelrechte Wahnvorstellung.

Warum die Mutter vieler moderner Wissenschaften (Astronomie, Psychologie, Mathematik) heute nicht mehr als Wissenschaft gelten kann, ist ein komplexes Thema, das ein gewisses Maß an Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit dem modernen Denken erfordert. Ausführlich gehe ich auf dieses Thema in meinem Buch ”Astrologie – was ist das eigentlich?” ein (ab Februar 2001 im Iris-Verlag). Um es an dieser Stelle kurz zu machen: Ich betrachte Astrologie und ähnliche Gebiete als den Schatten der modernen Naturwissenschaften. Auch wenn die Naturwissenschaft ihren Schatten bekämpft, ignoriert oder lächerlich macht – sie wird ihn nicht los.

Ist es nicht bemerkenswert, dass gerade die selbsternannten Vertreter des wissenschaftlichen Denkens sich immer wieder so entschieden gegen die Zeitungsastrologie wenden. Ohne es selbst zu merken, legen sie hierbei einen Eifer an den Tag, der nur missionarisch genannt werden kann. Die Gefahr kann ja wohl kaum in den harmlosen Sprüchlein für jeden Tag liegen. Worin liegt sie dann? Die Gefahr besteht für die Naturwissenschaft schlicht und ergreifend darin, dass sich Menschen auch heute noch vom Magischen, Nicht-Rationalen unwiderstehlich angezogen fühlen.

Solange die Wissenschaft dieses menschliche Grundbedürfnis nach dem Magischen nicht anerkennt; solange sie nicht begreift, dass das Leben aus der subjektiven Sicht des Menschen immer auch magisch, dunkel und unberechenbar bleiben wird – solange wird sie dem Menschen nicht gerecht (die Errungenschaften des logischen Geistes und die Notwendigkeit, diesen weiterzuentwickeln will ja niemand in Abrede stellen).

Astrologie befasst sich in erster Linie mit subjektiven Dimensionen wie Sinn und Wert – Eigenschaften, die in der objektiven Naturwissenschaft keinen Raum haben. Gerade dies macht die Astrologie für viele Menschen so anziehend: in einer durch die Wissenschaften sinnentleerten Welt befasst sie sich mit dem Sinn, der hinter den Ereignissen unseres Lebens liegt.

Ich behaupte nun nicht, dass ein Zeitungs-Horoskop dieser Dimension der Astrologie gerecht werden kann. Es handelt sich hier natürlich um Unterhaltung; im eigentlichen Sinne auch nicht um Astrologie, sondern eher um eine moderne Form des Orakels.

Den Bogen von der Veröffentlichung eines Tages-Horoskopes hin zum Rechtsradikalismus der neuen Bundesländer zu schlagen ist schon eine ziemlich gewagte Sache. Und doch verstehe ich Ihre Argumentation in ihrer letzten Konsequenz. Auf der einen Seite sehen Sie das logische, vom Verstand geprägte Handeln, auf der anderen Seite alles Irrationale, und dazu gehören für Sie eben rechtsradikale Tendenzen genauso wie die Astrologie.

Das darf natürlich Ihre Sicht der Dinge bleiben – nur leider wird Ihnen diese niemals erlauben, zu verstehen, wie es zu so irrationalen rechtsradikalen Exzessen in dieser ach-so-aufgeklärten Zeit kommen kann. Ich habe keine Zweifel daran, dass eine von Ihnen vorgeschlagene Serie: ”Denken – und mit Vernunft handeln” bestenfalls gar nichts, schlimmstenfalls genau das Gegenteil von dem bewirken wird, was sie bewirken soll.

Je aufgeklärter und rationaler eine Gesellschaft ist, desto mächtiger wird ihr irrationaler Schatten. Für mich als ”Westler” erschien die DDR immer sehr rational, sehr vernünftig und sehr nüchtern (ich meine den Gesamteindruck, die Leitbilder, nicht die einzelnen obskuren Blüten, die ja jedes System irgendwann ausbildet).

Ich habe kein Verständnis für die aktuellen radikalen Trends, aber ich kann sie verstehen. Die Jugend wird sich immer – in jeder Generation erneut – gegen die Macht der etablierten Vernunft zur Wehr setzen und die vorhergehende Generation mit ihrem eigenen Schatten konfrontieren.

Die Lösung kann also nicht darin liegen, noch vernünftiger vorzugehen (weder was unseren Umgang mit der Jugend betrifft, noch den der Wissenschaft mit dem Magischen). Glauben Sie denn allen Ernstes, dass das Bedürfnis der Jugend, nach Abenteuer, nach Leben und nach Selbstentdeckung mit nüchterner, logischer, rationaler Aufklärung zufrieden gestellt werden kann? Sind Sie selbst denn niemals 18 gewesen?

Wir leben in einer Zeit der Spaltung zwischen dem Rationalen und dem Nicht-Rationalen, zwischen Geist und Seele. Die Astrologie, die weder völlig logisch, noch völlig magisch ist, in der Welt des Logos genauso zu Hause wie in der der Magie, ist in der Lage die Brücke zwischen beiden Welten zu schlagen. Aus diesem Grund waren Kepler, Newton und Einstein von ihr überzeugt, aus diesem Grund findet sie seit Jahren immer breiteren Einzug in alle Bereiche gesellschaftspolitischen Denkens und Handelns.

Martin A. Banger
Astrologe, Kiel